„Wir befinden uns im Umbruch“

Wie haben sich Familien in den letzten Jahren verändert und was braucht ein Kind wirklich von seinen Eltern zum Glücklichsein? Prof. Dr. Oliver Arránz Becker ist Familiensoziologe und Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Er hat sich intensiv mit dem Thema Familie und deren gesellschaftliche Entwicklung auseinandergesetzt und beantwortet hier ein paar wichtige Fragen:

 

Wie sieht die typische Familie im Jahr 2016 aus?

Tja, das ist gar nicht so leicht zu sagen ob es DIE typische Familie überhaupt gibt. Ich bin da immer vorsichtig DAS Bild der Familie zu beschreiben, weil man dabei viele Differenzierungen im Auge behalten muss. Die Familienauffassungen haben sich sehr gewandelt in den letzten fünfzig Jahren.

Wie sah dieser Wandel aus?

Wir haben in den 60er Jahren noch die Hoch-Zeit der Ehe gehabt: „Golden Age of marriage“. Da war die Ehe die allein akzeptierte Grundlage für eine Familiengründung und die Leute haben damals noch relativ früh ihre Kinder bekommen. Das hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann immer mehr nach hinten verschoben. Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Kernpunkt der Veränderungen. Das durchschnittliche Alter der Mütter bei ihrer Erstgeburt liegt inzwischen bei etwa 30 Jahren. Das ist schon beträchtlich hoch.

Ein zweiter Punkt ist, dass immer weniger Menschen überhaupt heiraten bzw. später heiraten. Die Ehe als Legitimationsgrundlage der Familie hat also in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung verloren. Allerdings muss man da ein paar Differenzierungen vornehmen. Man kann beispielsweise die neuen und alten Bundesländer nicht einfach in einen Topf werfen.

Merkt man die frühere Teilung Deutschlands denn noch so stark in den Familienmodellen?

Ja. Auch wenn die Wiedervereinigung inzwischen mehr als 25 Jahre her ist, findet man immer noch sehr große Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, was die Familienbildung angeht. Es ist so, dass in Westdeutschland der Anteil nichtehelicher Geburten ungefähr bei einem knappen Drittel liegt, während in den neuen Bundesländern der Anteil mit fast zwei Dritteln bedeutend höher ist. Das hat historische Gründe und das ist eine Sache, die sehr viel langfristiger ist als die deutsche Teilung an sich.

Wie werden alternative Familienmodelle, wie Regenbogenfamilien, von der Gesellschaft angenommen?

Ich denke, wir befinden uns da gerade in einem Umbruch. Gleichgeschlechtliche Eltern werden immer mehr den heterosexuellen gleichgestellt, soweit das eben möglich ist. In diesem Fall spielt natürlich auch die rechtliche Komponente, wie zum Beispiel das Adoptionsrecht, eine wichtige Rolle für die gesellschaftliche Akzeptanz. Wobei man schon sagen muss, dass die Akzeptanz gegenüber alternativen Familienkonstellationen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Mir ist jetzt hierzu keine aktuelle Umfrage bekannt, aber ich vermute, dass mittlerweile die Mehrheit der Gesellschaft positiv gegenüber neuen Familienmodellen eingestellt ist und auch, dass sich das noch weiter in diese Richtung entwickelt. Aber das ist natürlich Spekulation.

Und was müsste gesellschaftlich und politisch passieren, dass es zu mehr Toleranz und Akzeptanz kommt?

Politik kann nur indirekt auf die Stimmung in der Bevölkerung einwirken. Toleranz ist ein Prozess, der sich in der Gesellschaft nicht schlagartig, sondern nur allmählich durchsetzen kann. Trotzdem kann man natürlich öffentliche Debatten anregen, dass mehr Meinungsbildung stattfindet.

Was braucht Ihrer Meinung nach ein Kind zum Glücklichsein innerhalb seiner Familie?

Das ist eine schwierige Frage. Ein Kind braucht natürlich Verlässlichkeit der Eltern. Es braucht auf jeden Fall Zuwendung und einen konsistenten Erziehungsstil. Das sind Grundbedingungen. Ich glaube, dass es hingegen weniger wichtig ist, welchen Status die elterliche Beziehung hat. Das ist in meinen Augen eher sekundär. Wichtiger ist das Vertrauensverhältnis zwischen den Eltern und dem Kind.

Wie sieht Familie in zehn Jahren aus?

Zehn Jahre sind ein Zeitraum, in dem die Veränderungen überschaubar bleiben. Solche Dinge verändern sich eher in Generationen als in so kurzer Zeit. Ich denke, dass wir eine weitere Zunahme der Bedeutung nichtehelicher Partnerschaften sehen werden. Das ist, wie schon gesagt, der Megatrend der letzten 50 Jahre.

 

Foto: Uni Halle/Maike Glöckner

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