Vor der Haustür von Familie Lauer steht ein Schild. „Tired Parents and happy Kids lives here“, steht darauf. Links und rechts neben der Tür stehen und liegen Kinderfahrräder in allen Größen. Als ich auf die Klingel drücke, höre ich aus einem gekippten Fenster: „Das ist die Frau mit dem Interview!“ und aufgeregtes Kinderlachen. Ich freue mich darauf die Familie kennenzulernen.
Familie Lauer besteht aus Mutter Annette, Papa Matthias, der 11-jährigen Tochter Tabea, den Zwillingen Naomi und Elias und dem Nesthäkchen Samuel. Jedenfalls tragen diese Sechs den Nachnamen „Lauer“. Zur Familie gehören aber auch Pflegekinder. „Bis zu drei Stück. Dann ist nämlich das Auto voll“, erklärt mir Matthias später. „Bereitschaftspflege“ heißt das Modell, das Familie Lauer seit einem knappen Jahr lebt. Sie nehmen Kinder in Notsituationen bei sich auf, bis eine Lösung für den dauerhaften Verbleib der Kinder gefunden ist. Heute sind neben den vier eigenen Kindern noch die dreijährige Amira und ein Flüchtlingsmädchen aus Somalia da.
Tabea macht mir die Tür auf. Im Flur liegen viele Schuhe und sofort kommt bei mir die familiäre Atmosphäre an, die in diesem Haus herrscht. Ich werde herzlich begrüßt und Tabea schlüpft in ihre Turnschuhe und verlässt das Haus zum Brötchen holen. „Wir haben mit dem Frühstück auf Sie gewartet“, sagt Matthias. Das bedeutet für mich Familie, denke ich und gehe durch in den Wohn- und Essbereich. Aus dem Treppenhaus schauen mich zwei Jungs noch etwas schüchtern an und am Wohnzimmertisch sitzt ein dunkelhäutiges Mädchen im Teenageralter mit einem roten Kopftuch. Sie blättert in einem Buch, das von weitem aussieht wie ein Übungsheft für Grundschüler. „Kaffee?“, fragt Matthias. Ich nicke.
Heute spricht Elias das Tischgebet. Wie ich später erfahre, spielt Religion eine große Rolle bei Familie Lauer. Probleme oder gar Glaubenskonflikte mit den Flüchtlingskindern gab es hier bisher keine. „Wir sind da sehr offen. Schwierig wird es nur, wenn Faduma* gerade betet und wir dringend zu einem Termin müssen. Sie lässt sich dann nicht aus der Ruhe bringen. Auch wenn wir es eilig haben“, erzählt mir Annette während sie das dritte Nutellabrot schmiert.
Die Eltern wirken ruhig und entspannt auch wenn es sehr wuselig ist. Jeder am Tisch hat etwas zu erzählen, Brote müssen geschmiert und organisatorische Dinge geklärt werden. Außerdem ist heute Amiras letzter Tag. Das ist natürlich auch Thema, denn das Mädchen war nun mehrere Monate bei der Familie. Nach dem Frühstück zeigt mir Matthias ein Fotoalbum, das er der Dreijährigen zum Abschied angefertigt hat. Währenddessen räumen die Kinder den Tisch ab. Bei einer Großfamilie muss schließlich jeder mithelfen.
Faduma hat kein Foto von sich. Ich soll eins machen mit meiner Kamera. Kein Problem. Nur die Kommunikation gestaltet sich schwierig, denn das Mädchen spricht kein Deutsch und nur sehr gebrochen Englisch. Deshalb wissen die Pflegeeltern auch nichts über Faduma. Annette und Matthias wissen nicht einmal wie alt sie ist. Doch „vielleicht weiß sie das selbst nicht genau“, vermuten sie.
„Für manche ist es schwer zu verstehen, was wir hier machen. Aber wir fühlen uns wohl dabei. Und die Leute, die uns kennen, helfen uns. Als Matthias mitten in der Nacht zur Polizei fuhr, um Faduma abzuholen, waren da sofort unsere Freunde, die noch alte Kleidung für sie vorbeibrachten.“, sagt Annette, als ich sie nach den Reaktionen des Umfelds frage.
Die Kinder wollen mir ihre Zimmer zeigen. Naomi und Amira haben ein Zimmer zusammen. Mit Hochbett, Schreibtisch und einem Puppenhaus. An den Wänden hängen Pferdeposter. Auch die beiden Jungs teilen sich ein Zimmer. Faduma hat ihren eigenen Rückzugsort, wo sie die meiste Zeit des Tages verbringt. Während sich die jüngeren Kinder etwas über Amiras Unordnung beschweren, ist Tabea froh, ihr eigenes Reich im Keller zu haben. „Wir sind froh, diese Räumlichkeiten zu haben. Ohne das Haus wäre es gar nicht möglich, zu den eigenen noch andere Kinder aufzunehmen“, sagt Matthias.
Wieder im Wohnzimmer baue ich meine Kamera auf und mache ein Videointerview mit Annette und Matthias. Hin und wieder schleicht sich Amira ins Bild, um ja nichts zu verpassen.
Als ich später nach Hause fahre, denke ich noch viel über Familie Lauer nach. Mein Fazit des Tages: Ich bin sehr beeindruckt und manchmal sollte man die Dinge nicht so kompliziert sehen und sie einfach machen, denke ich mir und wünsche mir ein bisschen mehr Gelassenheit.
*Name geändert